Frisch gepresst - mit PVRIS, Snõõper, Palehound und Disclosure
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14.07.2023
PVRIS - Evergreen
Rezension PVRIS
Musik im Jahr 2023 entwickelt sich dank TikTok und Co. immer mehr zu einer von Algorithmen bestimmten Kunst. Teilweise wird erst geschaut, ob ein 15-Sekunden-Clip viral geht, bevor der Rest des Songs überhaupt produziert wird. Lynn Gunn versucht mit ihrer Rockband PVRIS und der neuen Platte Evergreen dem entgegenzuwirken und soetwas wie Langlebigkeit zu erschaffen.
Schon auf den ersten Tracks wie Good Enemy wird schnell deutlich: Evergreen braucht keinen Anlauf, sucht direkt die Konfrontation.
Die Produktion ist laut, aggresiv und kratzt am Hyperpop. Volum-Grenzen werden auf Tracks wie Take My Nirvana (co-produziert von Mike Shinoda von Linkin Park) gerade so ausgereizt.
Dass das Ganze auch deutlich organischer geht, beweisen PVRIS mit Tracks wie der Akustikballade Anywhere But Here. Und selbst in ruhigeren Momenten, tragen die Vocals von Lynn Gunn ein enormes Selbstbewusstsein. Evergreen macht ordentlich Krawall, bleibt im Kopf und ist keinesfalls eine Eintagsfliege.
(Jonathan Lüders)
Snõõper - Super Snõõper
Wenn Jack White nicht gerade Musik macht oder mit seinen Presswerken die Schallplatte am Leben hält, dann sucht er gute, neue Bands für sein Label Third Man Records. Zum Beispiel in Nashville. Genau dort laufen ihm nämlich Snõõper in die Arme.
Sängerin Blair Tramel und Gitarrist Connor Cummins starten Snõõper eigentlich als Duo. Sie merken aber schnell, dass sie Unterstützung brauchen, um ihren Sound live gut rüberzubringen. Und letzten Endes sind es vor allem die Live-Shows, die der Band Aufmerksamkeit bescheren. Mehr Happening als Konzert, mit übergroßen Pappmache-Figuren im Publikum.
Super Snõõper - das Debüt der Band ist auch so ein Happening. Vollgestopft mit wahnwitzigen Ideen, Einspielern, Brüchen, Punk auf doppelter Geschwindkeit. Man merkt, dass die Bandmitglieder hauptsächlich aus dem Hardcore kommen, also wesentlich härteres und schnelleres gewohnt sind.
Die Stimme der Band, Blair Tramel, verleiht dem Chaos Struktur. Trotzdem kommt man während der knapp über 20 Minuten kaum zum Durchatmen. Snõõper Debüt ist mit Abstand das beste, was Punk 2023 hervorgebracht hat.
(Micha Gehrig)
Palehound - Eye On The Bat
Rezension Palehound
El Kempner hat sich noch nie zurück gehalten, wenn es um Persönliches ging. Die nicht-binäre Künstler:in beschreibt den Palehound-Sound nicht umsonst als journal-rock, Tagebuch-Rock. Bei der letzten Platte Black Friday gab es deswegen viel Freude. Ein Album über eine neue Liebe. Die danach in die Brüche ging. Was sich jetzt auf dem Nachfolger Eye On The Bat nachhören lässt.
Schonungslos wird hier alles auf den Tisch gepackt. Falsche Hoffnungen, Enttäuschungen, Details aus dem Sex-Leben. Alles mit der nötigen Portion Humor, die es braucht, um so eine Trennung zu verarbeiten. Und mit viel Selbstreflexion.
Es wird nicht unnötig nachgetreten, Gut und Böse sind nicht klar verteilt. Wie eben meist bei einer Trennung.
Untermalt wird das alles von El Kempners großartigem Gitarrenspiel, das seit einer Tour mit Big Thief noch besser geworden ist. Von deren Frontfrau Adrienne Lenker hat El sich nämlich einige fingerpicking-skills abgeschaut.
Nach Big Thief kommen jetzt Jimmy Eat World und boygenius .. beide Bands haben Palehound als Support verpflichtet. Wenig verwunderlich bei diesem großartigen neuen Album.
(Micha Gehrig)
Disclosure - Alchemy
Rezension Disclosure
Disclosure veröffentlichen über die Jahre etliche Kollaborationen mit Mega-Stars wie Lorde oder The Weeknd. Jetzt haben die Brüder Guy und Howard Lawrence erstmal genug und ziehen die Reißleine. Ihr viertes Album Alchemy kommt ohne große Namen und vor allem ohne Major Label aus. Das bedeutet: machen, worauf das Produzentenherz Bock hat.
Die neu gewonnenen Freiheiten zeigen sich hauptsächlich im Verzicht. Keine Features, keine Samples. Alles real, alles nur Guy und Howard.
Mit Alchemy wird auch klar: Clubmusik kann mehr als Drops und hoch die Hände. Interludes, in denen Flughäfen, Hunde, Gewitter oder die Geschwister selbst zu hören sind, sorgen für einen warmen Storytelling-Effekt.
Disclosure toben sich auf Platte Nummer vier so richtig aus. Breakbeats, Synthies im Trance-Stil, aber auch klassische Four-on-the-floor-Elemente. Nicht nur stilistisch erinnert Alchemy an das Debüt Settle von 2013. Auch die Herangehensweise ist dieselbe. Die Songs von Anfang an auf höchstem Niveau produzieren und dabei einfach Spaß haben.
(Jonathan Lüders)
"Frisch gepresst"-Historie: